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Agnes Hapsari und die indonesische Chormusik

»Chorsingen ist ein wichtiges Mittel, Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu verbinden«

 

Als freischaffende Künstlerin vereint die Wahl-Hannoveranerin Agnes Hapsari viele Talente. Als Pianistin, Sängerin, Komponistin, Arrangeurin und Chorleiterin hat sie einen abwechslungsreichen Alltag. Im Gespräch über das Thema Chormusik erzählt sie von ihren persönlichen Erfahrungen, der Begeisterung in Indonesien und aktuellen Projekten.

Ein Interview von InMaOn / Jörg Huhmann (JH)

 

 Agnes Hapsari Retno Windyasmoro, kurz Agnes Hapsari; Bildquelle: Lotte Heller

 

 


 

Liebe Agnes, kürzlich lief auf dem indonesischen Filmfestival »Indonesia On Screen« in Berlin die Dokumentation Indonesia Kirana. Es geht darin um den Studentenchor der Padjadjaran Universität in Bandung und die »Reise« zu einem der bedeutendsten Chorwettbewerbe der Welt. Bisher habe ich mich mit dem Chorthema eher weniger beschäftigt, doch diese eindringliche, intensive Filmarbeit und der besondere Spirit dieser Chorgemeinschaft haben seine Wirkung hinterlassen. Kannst Du mehr über das »Chorleben« in Indonesien erzählen und woher diese Begeisterung für das Singen kommt?

 

Agnes Hapsari: Bereits in der Schule lernen wir früh im Chor zu singen. Meistens singen wir im Schulchor Nationallieder, eine Art zeremonielle Handlung. Es gibt aber auch andere Anlässe, wo im Chor gesungen wird. Und, natürlich wird Chormusik auch in Kirchen präsentiert. Es lässt sich ganz generell sagen, dass Indonesier sehr gerne singen. Unser Alltag wird stark von der Musik geprägt. Auch wenn man nicht im Chor singt, wird auf den Familienfeiern sehr gerne gesungen – entweder zusammen mit Instrumenten oder beim Karaoke. Auch unter den Jugendlichen spielt das gemeinsame Singen eine große Rolle, viele gehen in der Freizeit zusammen in die Karaoke-Bar.

 

Auf der Straße wird auch oft musiziert, nicht wie in Deutschland, wo man meistens in geschlossenen Räumen spielt oder singt. Wir finden es völlig normal, unsere Gefühle durch Musik auszudrücken. Es gibt viel mehr Straßenmusiker oder Cafés und Restaurants mit Live Musik.

 

Und wie war das bei Dir? Wie ist Deine Leidenschaft für die Chorarbeit entstanden?

 

Hapsari: Für mich ist Chorsingen schon fast eine Tradition. Ich komme aus einer katholischen Familie und mein Vater war lange Chorleiter im Kirchenchor. Das war aber nur ein Hobby, von Beruf ist er eigentlich Elektroingenieur. Er kommt aber generell aus einer musikalischen Familie, und so habe ich mit 10 Jahren angefangen den Kirchenchor und meinen Schulchor auf dem Klavier oder der Orgel zu begleiten.

 

Da ich in eine katholische Grund- und Mittelschule gegangen bin, sangen wir natürlich oft in den Gottesdiensten – sowohl in der Kirche, als auch in der Schule. Mit 12 Jahren habe ich dann die Musikschule gewechselt. In der neuen Schule habe ich angefangen, Jazz Piano zu lernen und begonnen in einer Band zu spielen. Es gab dort einen Musikschulchor, ich habe ihn öfter begleitet und selber im Chor gesungen. Das war meine erste Berührung mit der Pop- und Jazzmusik im Chor, bisher kannte ich ja nur Kirchenlieder. Mit dem Chor bin ich 2002 zum 2nd World Choir Olympic nach Busan, Südkorea, geflogen. Wir haben dort für die Kategorie Folklore und Youth Vocal eine Silbermedaille bekommen. Danach bekam ich mehr Anfragen, semiprofessionelle Chöre in Jakarta zu begleiten. Neben dem Jazzklavier ist die Chorarbeit ein wichtiger Bestandteil in meinem musikalischen Leben geblieben.

 

Du bist dann vor über 10 Jahren zum Studium nach Deutschland gekommen. Wie hat Dich seither die Chormusik begleitet?

 

Hapsari: In Deutschland habe ich ebenfalls mit der Chorbegleitung angefangen, doch am Anfang nie daran gedacht, selber Chöre zu leiten. Aber irgendwann habe ich in einen Chorleitungskurs von der Musikhochschule reingeschnuppert und das hat mich inspiriert. Dann bekam ich 2011 die erste Anfrage für Chorleitung, weil der Chorleiter von dem Chor, den ich begleitete, in seine Heimat zurückkehrte. Es war ein kleiner Studentenchor von der Katholischen Hochschulgemeinde und sie haben mich gefragt, ob ich es mir vorstellen könnte, die Leitung zu übernehmen. Ich habe mich einfach getraut und es ausprobiert. Und, ich hatte großen Spaß daran! Seitdem bekomme ich nach und nach mehr Anfragen für Chorleitungen. Momentan leite ich insgesamt sechs Chöre.

 

Du hast bereits musikalische Erfahrungen in verschiedenen Funktionen gesammelt. Was ist für Dich gerade an der Chorarbeit das Besondere, das Herausfordernde?

 

Hapsari: Chormusik hat mir schon immer sehr viel bedeutet. Mit Freunden und Kollegen gemeinsam mehrstimmig zu singen hat für mich eine besondere Wirkung für die Seele – und wie ich später festgestellt habe, auch für den Körper! Es gibt dazu ein schönes Interviewaus dem Jahr 2013, mit Volker Gerland, Chorleiter und damals Vorsitzender des Landesverbands der Musikschulen in NRW.

 

Außerdem finde ich es seit meiner Kindheit immer wieder berührend, Chöre zu hören – egal in welcher Stilrichtung sie singen. Jetzt, wo ich schon seit 7 Jahren mehrere Chöre leite, ist mir klar geworden, wie besonders diese Arbeit ist. Als Chorleiterin bin ich die ganze Zeit gefordert, muss sehr konzentriert und präsent sein. Meine Kreativität, Spontanität und Flexibilität sind immer gefragt; ich muss immer gute Probepläne machen und strukturiert arbeiten. Emotional ist das manchmal nicht einfach, denn man leitet eine Gruppe von vielen Leuten, mit unterschiedlichen Charakteren, Kenntnissen, Geschmäcken, Gefühlen und Persönlichkeiten. Man muss dem Chor neue Ideen anbieten, ihn ständig motivieren, aber trotzdem offen sein für Kritik und Vorschläge.

 

In wieweit haben diese Erfahrungen auch die persönliche Weiterentwicklung Deiner Arbeit geprägt?

 

Hapsari: In diesem Job habe ich gelernt, dass ich es nie jedem recht machen kann und dass ich mich manchmal mehr durchsetzen muss. Ich lerne immer wieder viel dazu, wie z.B. komplizierte Situationen zu kommunizieren und Bedürfnisse der Sänger zu erkennen. Aber trotz diesen Herausforderungen – oder vielleicht sogar deswegen – liebe ich die Chorarbeit sehr. Wenn ich merke, dass sich die Klänge nach und nach verändern, die Stücke immer besser werden und wir die Auftritte gemeinsam gut gemeistert haben, sind das für mich außergewöhnliche Erfolgserlebnisse. Und wenn ich dann noch merke, dass die Chorsänger nach der Probe grinsen, glücklich sind und ein Lied zum Ohrwurm wird, ist das für mich das schönste Gefühl und ich kann auch glücklich nach Hause fahren.

 

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Meiner Meinung nach sind Chöre bei uns – ob an Universitäten, Schulen oder auch im Privaten – eher unterrepräsentiert. Ich war selbst auf einer evangelischen Schule, aber sogar da gab es noch nicht einmal einen Chor, geschweige denn Aktivitäten in diese Richtung etwas aufzubauen. Man fragt sich auch, wo sich die mehr als 15. 000 Chöre versteckt haben, von denen beim Deutschen Chorverband die Rede ist. Es entsteht doch eher der Eindruck, dass »Chorsingen«, wie du es nennst, hierzulande eine Randerscheinung in der Musikkultur darstellt. Vielleicht erscheint vielen Chorgesang heute einfach zu altbacken, zu unmodern, auch weil damit womöglich vor allem kirchliche Musik assoziiert wird. Wie wird dieses Thema in Indonesien wahrgenommen? Und was sind Deine Beobachtungen?

 

Hapsari: Kirchen spielten tatsächlich eine sehr große Rolle bei der Entstehung der Chormusik in Indonesien. Durch die Kolonialisierung entstanden christliche Religionen in Indonesien, in deren Gottesdiensten sehr viel gesungen wurde. Deshalb werden die meisten Chöre auch bei uns immer noch mit den Kirchen verbunden. Meine Wahrnehmung ist auch, dass es in der Entwicklung und Einflussnahme gewisse strukturelle Unterschiede in den Bildungsebenen in Indonesien gibt. So haben vor allem schulische Einrichtungen eine stärkere religiöse Bindung, als das zum Beispiel im universitären Sektor Ausdruck findet. So gesehen wird die Chorszene an den Hochschulen viel religionsübergreifender, offener gelebt als in den Schulen. Deswegen findet man in Studentenchören häufig Sängerinnen und Sänger, die sich zu ganz unterschiedlichen Glaubenstraditionen zugehörig fühlen. Das Repertoire in Studentenchören umfasst meistens klassische Melodien wie Volks-, Kirchen- und Nationallieder. Nach und nach werden immer mehr Popsongs ins Repertoire übernommen. Meiner Meinung nach ist das Chorsingen in Indonesien, von der Art und der Technik, aber noch sehr klassisch geprägt. Während es in Europa heute immer mehr Pop- und Jazzchöre gibt, ist das in Indonesien noch nicht der Fall. Übrigens, unser erster Präsident Soekarno war der erste Initiator, der sich in den 1950er Jahren dafür einsetzte, dass mehr Nationallieder und traditionelle Lieder komponiert wurden. Dies war sozusagen der Anfang, dass sich die indonesische Chorszene auch in Schulen und Universitäten entwickelte und heute nicht nur Kirchenlieder im Chor gesungen werden.

 

Eine kleine Ankedote dazu: Als ich zuletzt, im März 2018, in Jakarta war, haben wir mit dem Paramabira Chor ein kleines Konzert an der Bina Nusantara Universität gegeben, in dem Religion das Thema war. So haben wir Lieder und Mantren aus verschiedenen Religionen aufgeführt. Es war eine sehr schöne religionsübergreifende Erfahrung. Da waren z.B. Christen, die islamische Lieder gesungen haben, aber auch muslimische Mädchen, die voller Inbrunst ein Gospelstück gesungen haben. Das ist aus meiner Erfahrung aber die die Ausnahme, nicht die Regel.

 

Was meine eigene Arbeit angeht, möchte ich zukünftig neue Arrangements von Liedern aus anderen Religionen anbieten, da bisher vor allem kirchliche, christliche Lieder im Chor gesungen werden. Nicht nur die Christen haben schöne, religiöse Lieder – so haben z.B. Muslime eigene, wunderschöne geistliche Lieder, oft mit arabischen Musikelementen. Die Buddhisten und Hinduisten haben wunderschöne Mantren. Ich möchte mit einem solchen Konzert zeigen, dass Lieder von anderen Religionen auch ein großes Potenzial haben, im Chor gesungen zu werden. Dabei entstehen neue Möglichkeiten an Arrangements und eine neues Repertoire. Wenn man sich die Definition für Chor vor Augen hält heißt es ja, »eine Gemeinschaft von Singenden«. Da wird also keiner ausgeschlossenen. Es ist eine offene Gemeinschaft, die auch für die Vielfalt des Liedgutes steht.

 

Du kennst beide Länder, bis in Indonesien aufgewachsen und lebst schon über 10 Jahre in Deutschland. Wie erlebst Du die Chorarbeit »im kleinen Ländervergleich«? Gibt es Unterschiede?

 

Ja, die gibt es. Die Unterschiede sind, dass der Chor und das Singen generell einen höheren Stellenwert in Indonesien haben – sehr erfolgsorientiert, auch bei Amateurchören, die trotzdem mehrmals in der Woche proben. In Deutschland gibt es – was die Proben und die Qualität der Musik angeht – Unterschiede zwischen Profi- und Amateurchören. Man singt in Amateurchören oft nur zum Spaß, probt meistens einmal in der Woche und hat andere Prioritäten wie Beruf, Familie, Urlaub, Sport. Die Chorarbeit in Indonesien ist relativ streng und hierarchisch. Hauptsache richtig und gut singen, der Spaß liegt nicht an erster Stelle. Die Chorleiter haben das Sagen und hohe Ansprüche. Vorschläge und Kritik von den Sängern werden in vielen Fällen nicht sehr gerne entgegengenommen.

 

In Deutschland ist der Spaß am Singen eine wichtige Voraussetzung für die Teilnahme im Chor. Der Chorleiter wird eher als Motivator betrachtet. Wenn der Spaß aufhört und der Chor zu anspruchsvoll wird, hören viele auf im Chor zu singen. Die Chorproben in Indonesien sind oftmals sehr detailliert, die Proben dauern in der Regel von 3 bis 5 Stunden. Daher sind die Proben nicht immer strukturiert, man probt an einer Stelle so lange wie möglich bis die Sänger es richtig gut können. In Deutschland dagegen dauern die Proben durchschnittlich nur 1,5 bis 2 Stunden. Deswegen ist ein guter und strukturierter Probenplan nötig, damit die Proben effektiver sind.

 

Auch wenn es in Deutschland momentan vielmehr Pop- und Jazzchöre gibt als in Indonesien, haben meiner Erfahrung nach deutsche Sänger oft Schwierigkeiten, sich beim Singen frei zu bewegen. Und wenn sie sich bewegen, brauchen sie immer einen langen Anlauf oder zahlreiche Rhythmusübungen vorher. In Indonesien ist das weniger der Fall. Obwohl die meisten Chöre klassische Stücke singen, können sich die Sänger bei den Popstücken sofort frei bewegen. Es liegt wahrscheinlich an der Kultur, denn in Indonesien spielt das Tanzen auch eine große Rolle im alltäglichen Leben: z.B. beim Dangdut und bei regionalen Tänzen in traditionellen Zeremonien; aber auch auf Hochzeiten und zu anderen Anlässen gibt es oft Tanzvorführungen.

 

Als ich noch sehr klein war, konnte ich immer zur Chorprobe von meinen Eltern mitkommen, obwohl ich da natürlich noch nicht mitsingen konnte. Da habe ich oft zwar nur gewartet und zugehört, aber die Musik hat mich dann schon sehr früh geprägt und ich konnte mir die Lieder gut merken, die die Erwachsenen gesungen haben. Dort lernte ich auch andere Kinder kennen, die zur Chorprobe mitkamen. Das war für uns nicht ungewöhnlich, dass uns unsere Eltern mitnahmen. Anders als in Deutschland, hier habe ich noch nie erlebt, dass die Kinder zur Chorprobe mitkommen – höchstens zum Konzert. Und wenn die Eltern keinen Babysitter oder jemanden haben, die auf das Kind aufpassen können, dann entscheiden sie sich lieber nicht zur Probe zu gehen. Deswegen haben die indonesischen Kinder, meiner Meinung nach, viel früher Berührung mit Chormusik als in Deutschland.

 

In der Dokumentation Indonesia Kirana hat man ganz gut gesehen, dass beim Chorsingen Gemeinschaft und dieser Spirit »gemeinsam-unbedingt-etwas-schaffen-zu-wollen« besonders zum Tragen kommt. Inwieweit helfen Chorgemeinschaften dabei gesellschaftliche Brücken zu schlagen und Verbindungen zu schaffen?

 

Hapsari: Ich finde, dass das Chorsingen ein wichtiges Mittel ist, Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu verbinden. Im Chor muss man stark darauf achten, dass man nicht nur die richtigen Töne trifft, sondern im gemeinsamen Klang wie die anderen singt. Man darf im Chor nicht im Vordergrund stehen, sondern alle werden gleich wichtig wahrgenommen. Die Sänger müssen sich im Chor gegenseitig helfen und ergänzen. Ich denke, da stecken hohe moralische Werte dahinter – da ist es egal welche Hintergründe man hat; wir sind alle eine Einheit und ein Organismus. Das lässt sich im Alltag gut spiegeln und deshalb sind Chöre für mich eine wichtige gesellschaftliche und kulturelle Brücke.

 

Zudem ist Chormusik generationsübergreifend. Das schafft zusätzliche Verbindungen, zu Leuten, die man sonst im Leben möglichweise weniger treffen würde. Das kann interessant sein. Als ich den Kirchenchor begleitet habe, den mein Vater geleitet hat, war ich erst 10 Jahre alt, und da hatten wir zum Teil Sänger die über 40, 50, oder 60 waren. Und als ich größer wurde (ca. 15 Jahre alt), haben ein paar Freunde, die mit mir mehr oder weniger in dem gleichen Jahrgang sind, auch mitgesungen 

 

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Indonesische Chormusik ist sehr erfolgreich bei internationalen Events. Woher kommen dieser Erfolg und diese Wettbewerbsorientiertheit? Wie lässt sich das erklären?

 

Hapsari: Außer den Kirchen-, Schul-, und Studentenchören gibt es noch professionelle Chöre, wie die »Batavia Madrigal Singers« oder den Kinderchor »The Resonanz Children Choi«, aber auch viele andere, die von den Kirchen, Schulen oder Universitäten unabhängig sind. Diese Chöre gewannen schon oft mehrere Preise bei internationalen Wettbewerben. Auf der anderen Seite gibt es Studentenchöre, die nicht nur in ihrem Campusbereich aufführen, sondern sehr professionell sind und ebenso regelmäßig an internationalen Wettbewerben teilnehmen. Dazu gehört auch der Chor der Universitas Padjadjaran aus dem Dokumentarfilm »Indonesia Kirana«, oder der Mitte Juni nach Deutschland kommende Paramabira Chor aus Jakarta, um nur einige wenige zu nennen.

 

Die Wettbewerbsorientiertheit liegt wahrscheinlich daran, dass wir die indonesische Kultur gerne in der internationalen Musikszene vorstellen möchten. Indonesien ist in der Entwicklung der Technik, Infrastruktur und des Bildungssystems noch lange nicht so weit wie Deutschland und andere europäische Ländern. Deshalb richten wir den Fokus stärker auf die Kulturszene und möchten unser Land, z.B. durch gewonnene Chorwettbewerbe, bekannter machen. Diese Wettbewerbskultur kommt wahrscheinlich auch aus der Zeit der 1950er Jahre, in der indonesische Universitäten, Radiosender und TV-Stationen angefangen haben Wettbewerbe zu veranstalten. Daneben ist es für die Chorsänger immer reizvoll, im Ausland zu singen und an einem Wettbewerb teilzunehmen. Das ist für viele eine unersetzliche Erfahrung und fördert die Gruppendynamik und das Gemeinschaftsgefühl.

 

Man kann also sagen, dass die Chorszene in Indonesien eine sehr hohe Leistung hat. Schade finde ich manchmal die Konkurrenz zwischen den Chören. Es wird oft gewetteifert, welcher Chor die meisten internationalen Preise gewonnen hat. Doppelkonzerte bzw. eine Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Chören sind soweit ich weiß in Indonesien noch eine Seltenheit. Dennoch gibt es schon häufiger Kooperationen zwischen Chor und Orchester, Chor und traditionellen Instrumenten, Chor und Tanz.

 

 

Gibt es eigentlich so etwas wie Förderprogramme in diesem Musiksegment – staatlicher oder privater Natur?

 

Hapsari: Über das Thema Förderungen kann ich nicht so viel sagen, weiß aber dass viele Studentenchöre sehr kämpfen müssen, Sponsoren oder Hilfe von ihren Universitäten zu bekommen. Ich habe schon Geschichten gehört, wo z.B. ein Studentenchor keinen Raum zum Proben an der Uni bekommen konnte, obwohl der Chor sehr oft bei den Veranstaltungen von der Uni aufgetreten ist. Oder, dass die Uni eines anderen Studentenchores sich geweigert hat, für das Visum die Bürgschaftserklärung zu erstellen, als der Chor im Ausland auftreten wollte. Obwohl in Indonesien sehr viele musikalische Menschen leben, wird die Musik als Berufszweig dort generell noch sehr unterbewertet. Jedoch haben manche professionelle Chöre auch gute Sponsoren, die die Chorkonzerte und Wettbewerbe im Ausland unterstützen. Da gibt es z.B. einen bekannten Tabakkonzern, der die Batavia Madrigal Singers und The Resonanz Children Choir. sponsort.

 

Einige Aspekte zur historischen Einordnung (der Chormusik) hast Du bereits erwähnt. Fällt dir noch etwas aus der jüngeren Geschichte Indonesiens zur Entwicklung ein?

 

Hapsari: Die anfänglich im Gespräch erwähnten Aspekte stammen vor allem aus meinen persönlichen Erfahrungen. Ich hatte noch nicht viel Zeit zur intensiveren Recherche über die Geschichte der Chormusik in Indonesien. Ich hoffe einmal mehr Zeit dafür zu finden. Das Thema ist nämlich sehr spannend. Bisher habe ich nur über das Internet einiges rausbekommen.

 

Ja, aber eine Sache fällt mir noch ein. Ich habe kürzlich in einem interessanten Artikel des Nachrichtenredakteurs Lambertus Hurek gelesen, dass es in der »Orde Baru« oder »Neue Ordnung –Ära« von Ex-Präsident Soeharto verboten war, die diktatorische Regierung zu kritisieren. In diesem Zusammenhang hat die Regierung anscheinend in gewissem Rahmen künstlerische Aktivitäten an den Universitäten, darunter auch Chöre, sehr unterstützt. Damit sollte die Studenten dazu gebracht werden, keine Zeit in der Politik zu verbringen. Außerdem spielten die Medien eine sehr große Rolle in der Entwicklung der indonesischen Chorszene. 1952 fand der erste Radiosingwettbewerb (Bintang Radio) statt; da wurden meistens klassischer Gesang, Unterhaltungsmusik und Keroncong (traditionelle Musik aus Java) vorgetragen. Seitdem veranstalten die Universitäten auch mehr Chorwettbewerbe. Im 1964 hat unser erster Präsident Soekarno TVRI, den früher einzigen Fernsehkanal Indonesiens, etabliert. TVRI veranstalte auch oft Chorwettbewerbe und hatte oft Musiksendungen.

 

Du lebst schon seit 11 Jahren in Deutschland, bist aber immer noch sehr verbunden mit verschiedenen Chorensembles in Indonesien. Kannst Du uns mehr über Dein aktuelles Musikprojekt und die Hintergründe erzählen?

 

In meinem Masterstudium »Innovative Choir Leading« an der Royal Academy of Music Aarhus/Aalborg in Dänemark lerne ich viele neue spannende Methoden, die ich mit großer Begeisterung bei meinen Chören gut umsetzen kann. Den Paramabira Chor habe ich im Juli 2016 in Jakarta kennengelernt, da habe ich für das Ensemble einen Workshop gegeben. Ich war von dem Chor total begeistert und seitdem habe ich ein Ziel, ihnen zu helfen, eine Konzerttournee nach Europa zu organisieren. Ich habe dann verschiedene Chöre in Deutschland gefragt, ob sie mit Paramabira gemeinsame Auftritte machen würden. Alle waren von der Idee sehr begeistert und sie haben Paramabira sofort eingeladen. Zu guter Letzt sind sie auch noch eingeladen, an dem Summer Camp im dänischen Aalborg, teilzunehmen. The Summer Camp ist eine unterhaltsame Lernerfahrung für 150 internationale Chorleiter und erfahrene Ensemblesänger, die sich einen Überblick verschaffen und mehr über die neuesten und innovativsten Methoden innerhalb der »rhythmischen« Vokalmusik erfahren wollen.

 

Ich sollte erwähnen, dass ich schon immer den Wunsch hatte, einmal einen indonesischen Chor nach Deutschland zu holen. Mit dem Projekt, Paramabira im Juni 2018 nach Deutschland und Dänemark einzuladen, habe ich ein Hauptziel, einen kulturellen Austausch herzustellen, erreicht. Ich freue mich darauf, die Methoden, die ich in meinem Studium gelernt habe, in der doch noch sehr klassisch geprägten indonesischen Chorszene im Rahmen der Musiktournee vorzustellen. Und anderseits möchte ich indonesische Kultur und Chormusik, meinem Bekannten- und Chorsängerkreis, und möglichst vielen anderen Menschen in Deutschland und Dänemark, präsentieren. Es wird bestimmt eine tolle Erfahrung.

 

Was wird Deine genaue Funktion bei den Auftritten im Juni sein?

 

Der musikalische Leiter vom Paramabira Choir ist eigentlich Rainier Revireino, der allerdings bei dieser Konzerttournee verhindert ist. Yohana Stevani Loko Sai übernimmt die Leitung für die Proben in Jakarta, und für die Konzerte in Deutschland werde ich die musikalische Leitung übernehmen. Es kommen 10 Sängerinnen und Sänger von dem Chor nach Deutschland und Dänemark. Sie singen auf dieser Tournee hauptsächlich neue Arrangements, darunter auch einige von mir, aus dem Bereich Pop, Volksmusik und Improvisation (Vocal Painting).

 

Du hast schon viel erreicht, – spielst Piano, musizierst in verschiedenen Bands, singst, tanzt, komponierst und leitest Chöre. Welchen Herausforderungen würdest Du Dich zukünftig gerne noch stellen? Gibt es da überhaupt noch Aufgaben die Dich reizen?

 

Das stimmt! Viel erreicht habe ich schon. Aber da sind noch sehr viele Ideen, die ich realisieren möchte. Ich möchte ein Album mit eigenen Kompositionen aufnehmen. Ich möchte noch mehr Projekte in Indonesien etablieren. Ich bin gerade dabei, für meine Masterarbeit Projekte zu machen, in denen ich verschiedene Chöre mit indonesischen traditionellen Instrumenten kombiniere und ihnen Methoden vorstelle, die ich in meinem Studium in Dänemark gelernt habe, wie Improvisation, Circle Singing und andere Übungen. Im März habe ich mit einem der Projekte angefangen, in dem ein Polizeichor und Sapekmusiker (Sapek ist ein traditionelles Instrument aus Kalimantan) gemeinsam musiziert und improvisiert haben. Ähnliche Projekte würde ich gerne noch mit anderen Chören und traditionellen Musikern realisieren. Auch in Deutschland möchte ich gerne mehr Chorworkshops geben, Pop- und Jazzchorarrangements schreiben und den kulturellen Austausch intensivieren. Wie Du siehst, es gibt noch eine Menge Projekte, die es lohnt voranzutreiben.  

 

Mehr zu den Auftritten des Paramabira Choir aus Jakarta ist auch hier nachzulesen auftritte-deutschlandtournee

 

 

 Agnes Hapsari Retno Windyasmoro, kurz Agnes Hapsari; Bildquelle: Lotte Heller

 

Agnes Hapsari Retno Windyasmoro |1988 in Blora, Zentral-Java, geboren kam schon früh mit Musik in Berührung. Im Alter von sieben Jahren erhielt sie ihren ersten Klavier- und traditionellen indonesischen Tanzunterricht. Mit 13 hörte Agnes zum ersten Mal Jazzmusik und war von den Klängen zutiefst fasziniert. Sie begann diese auf dem Klavier zu erlernen. Ein Jahr später hatte sie bereits professionelle Auftritte und begleitete regelmäßig zahlreiche Chöre und Vokalensembles.

Ihre Leidenschaft für die Musik hat sie 2007, nach ihrem Abitur, bis nach Deutschland geführt, um zu studieren und sich dort zu einer professionellen Musikerin zu entwickeln. An der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover studierte sie Komposition, Klavier (Jazz/Rock/Pop) sowie Gesang. Seit 2016 studiert sie Professional Master im Bereich Rhythmic Vocal Leadership an der Royal Academy of Music in Aalborg, Dänemark. 

Agnes Hapsari ist eine vielseitige Künstlerin – als Pianistin, Sängerin, Chorleiterin, Komponistin und Arrangeurin. Ihr Repertoire erstreckt sich über Jazz, Pop, Musical, Gospel und Tango. Derzeit ist sie in verschiedenen Ensembles aktiv, wie z.B. »Cream Flow«, »My Moony Mood», »La Mer«. Als Chorleiterin arbeite sie mit verschiedene Chöre zusammen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kategorie: Community