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Sprache

Familie mal anders 

 

Familienbande können in Indonesien weit über die Blutsverwandtschaft hinausgehen. Diese Verbundenheit spiegelt sich auch in der Sprache wider.

von Birgit Lattenkamp

 

gemütlicher Familienausflug auf Bali; Bildquelle: Oliver Vanicek 

 


 

»Ini kakak saya.« (Das ist meine ältere Schwester), stellte mir Tuti unser Gegenüber vor. Langsam machte sich bei mir ein wenig Verwirrung breit. Tuti schien unendlich viele Geschwister zu haben. Vier davon hatte ich bereits bei ihr Zuhause kennengelernt. Seit wir aber durch Jakarta zogen, waren wir bestimmt noch fünf anderen begegnet. Vorsichtig fragte ich: »Apa semua adik-kakak Tuti masih tinggal di rumah?« (Wohnen alle deine Geschwister noch zu Hause?). Dies konnte ich mir nämlich nicht vorstellen, bei den beengten Räumlichkeiten. Ganz ausführlich begann Tuti aufzuzählen: »Si Amel misalnya yang kita tadi ketemu di Mal masih tinggal sama orang tuanya di Depok. Andisebenarnya dari Bandung, tapi dia nyewa kamar di Jakarta…« (Amel zum Beispiel, die wir vorhin im Einkaufszentrum getroffen haben, wohnt noch bei ihren Eltern in Depok. Andi, kommt eigentlich aus Bandung, hat aber in Jakarta ein Zimmer gemietet.) OK, jetzt verstand ich gar nichts mehr. Hatte ich die Bedeutung von »kakak« und »adik« nicht richtig erfasst? Bisher dachte ich, diese Begriffe stünden für älterer Bruder und ältere Schwester bzw. jüngerer Bruder und jüngere Schwester. Sie waren geschlechtsneutral, konnten aber, so hatte ich gelernt, durch den Zusatz »perempuan« (Frau/weiblich) oder »laki-laki« (Mann/männlich) gekennzeichnet werden. Außerdem dienten sie zur höflichen Anrede von Personen, die ein wenig jünger bzw. älter als man selbst war. Nun wollte ich es genau wissen. »Bukan Tuti tadi bilang, Amel itu kakak Tuti?« (Hattest du nicht vorhin gesagt, Amel sei deine Schwester?). Tuti lachte und klärte mich endlich auf. Wie sich herausstellte, war Amel eigentlich ihre Cousine. Die beiden aber standen sich so nahe, dass es für Tuti keinen Unterschied zu ihren leiblichen Geschwistern gab. Andi war sogar überhaupt nicht mit Tuti verwandt. Doch die beiden kennen sich seit Kindertagen, da ihre Eltern eng miteinander befreundet sind. Oft hatte Tuti die Ferien in Bandung verbracht. Da ist es nur selbstverständlich, dass Andi für sie wie ein Bruder ist. Langsam begriff ich. Mit der deutschen Assoziation für »Bruder« und »Schwester« kam ich hier nicht weiter. Die indonesischen Vokabeln ließen wesentlich mehr Spielraum. Faszinierend, mit »kakak« und »adik« konnten Zusammengehörigkeit und Solidarität gegenüber einem anderen Menschen ausgedrückt werden. Dies kannte ich aus meiner Heimat nicht. Natürlich hatte man auch dort enge Freunde und verstand sich mit dem ein oder anderen Verwandten besonders gut. Doch ich glaubte zu wissen, dass es unsichtbare Grenzen gab, die in den Köpfen der Indonesier nicht existierten.

 

Als mir ein paar Tage später Lina, eine andere Freundin, verkündete, sie habe eigentlich drei Mütter, fiel ich nicht mehr gleich aus allen Wolken, sondern wartete ganz gespannt auf ihre Erklärung. Wie mir Lina offenbarte, stammte ihre Mutter aus der Region Padang auf Sumatra und gehörte zu den Minangkabau, dem größten matriachalem Volk der Erde. Traditionell hatten Kinder im Gesellschaftssystem der Minangkabau zu ihren Tanten mütterlicherseits ein sehr enges Verhältnis. Auch brachte man diesen die gleiche Ehrerbietung entgegen wie der Mutter selbst. Es bot sich mir hier also ein weiteres bedeutendes Exempel für die großzügige Auslegung familiärer Beziehungen in Indonesien. Die Liste der Unterschiede zu deutschen Familienstrukturen könnte noch um einige Beispiele erweitert werden. Doch reichen die zuvor genannten sicherlich aus, um eine Vorstellung zu bekommen – und vielleicht sogar, um einen kleinen Denkanstoß zu geben. Interessant wäre es an dieser Stelle aber noch, etwas über weitere indonesische Verwandtschaftsbezeichnungen bzw. Anredeformen zu erfahren. Wie spricht man im Inselreich seine Familienangehörigen an? Gibt es auch hier gravierende Abweichungen vom Deutschen? Nun, zunächst einmal zu den Gemeinsamkeiten. Dank der ehemaligen Kolonialherren aus den Niederlanden, hört man an vielen Orten des Landes die uns geläufigen Anreden wie »Mama/Ma«, »Papa/Pa«, »Opa«, »Oma« sowie »Tante« und »Om« (Onkel). Diese ersetzen im direkten Gespräch auch das vertrauliche »Du«. Die eigenen Eltern mit »engkau « oder gar »kamu« (beides »Du«) anzusprechen wäre eine absolute Unhöflichkeit. »Tante« und »Om« werden übrigens auch für die Nachbarn und Eltern von Freunden verwendet. In diesen Fällen wirkten die respektvollen Formen »Ibu« und »Bapak« einfach zu distanziert.

 

Natürlich gibt es auch regionale Unterschiede - kein Wunder, bei dieser Vielfalt an Ethnien, die alle ihre eigenen Sprachen und Traditionen vorweisen können. Auf der Insel Bali zum Beispiel, deren Bewohner zum größten Teil der hinduistischen Religion angehören, ist es besonders kompliziert. Jede Kaste besitzt ihre eigenen Verwandtschaftsbezeichnungen. So nennen Enkel in der Sudra-Kasta (niedrigste Kaste; auch »Jaba« genannt) ihre Großmutter »Odah«, Brahmana-Sprösslinge dagegen »Tuniang«. Auch die chinesischstämmigen Indonesier verwenden meist nicht die hochindonesischen Anredeformen. Statt »Kakak/Kak« und »Adik/Dik« hört man sie oft »Cici/Kokok« und »Dede« sagen. In Indonesien können Anredeformen also viel über eine Person verraten. Sie geben Auskunft über die Herkunft und manchmal sogar über den Status innerhalb der Gesellschaft.

 

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Familie in Medan, Sumatra; Bildquelle: Jörg Huhmann

 

 

Eine kleine Auswahl an Begriffen. Eine Familie in Indonesien besteht aus:

 

 Eltern  orang tua
 Vater  Ayah, Bapak
 Mutter  Ibu
 Kind   anak
 Tochter   anak perempuan
 Sohn  anak laki-laki
 Ältere Schwester/älterer Bruder  kakak
 Jüngere Schwester/jüngerer Bruder  adik
 Großvater  kakek
 Großmutter   nenek
 Cousine/Cousin  sepupu
 Tante  Tante, Bibi
 Onkel  Om, Paman
 Schwiegereltern  mertua
 Schwiegertochter/Schwiegersohn  menantu
 Ehemann   suami
 Ehefrau   istri

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kategorie: Politik & Gesellschaft