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Kulturgeschichte

Missionare und Kunst: ein Spannungsfeld zwischen Kulturzerstörung und Kulturerhalt

 

Die Auffassung der Missionare zur einheimischen Kunst hat sich radikal gewandelt. Wurden zuerst Kultfiguren durch Kleriker zerstört oder umgedeutet, bemühen sich heutzutage Missionare um den Erhalt von Kultur in lokalen Museen.  

von Mai Lin Tjoa-Bonatz

 

Die Megalithsammlung im Museum Pusaka Nias: Steinsitze und Ahnenfiguren aus dem 19./20. Jh.; Bildquelle | Mai Lin Tjoa-Bonatz

 


 

Missionare waren seit dem 16. Jahrhundert Teil der Kolonisierungsbewegung und haben einen entscheidenden Anteil am kulturellen Austausch in fernen Ländern. Der Umgang der Missionare mit der lokalen Kunst verweist auf ein Spannungsfeld zwischen einheimischer und christlicher Tradition, in dem sich der wandelnde Blick auf die fremde als auch die eigene Kultur widerspiegelt.

 

Am Beispiel der Missionsgeschichte auf Nias zeigt sich dieser Wandel: Figürliche Kunst wurde entweder durch die Kleriker als Idolatrie zerstört und radikal abgelehnt oder erhielt eine vollkommen andere christliche Bedeutungszuschreibung. Mit der Zeit wurden die Kultfiguren zu profanen Kunstobjekten umgedeutet, die heutzutage durch das Bemühen von Missionaren in lokalen Museen bewahrt und ausgestellt werden.

 

Christianisierung durch die deutsche Mission

 

  

Seit 1865 hat die Rheinische Missionsgesellschaft mit steigenden Anhängerzahlen die Christianisierung der einheimischen Bevölkerung auf Nias, einer Insel an der Westküste Sumatras, betrieben. Heutzutage sind rund 90% der Einwohner auf Nias Christen, vorrangig Protestanten. Über die Tätigkeiten in den Missionsgebieten wurde in den Missionszeitschriften fortlaufend berichtet. Hierzu zählten auch Statistiken von Bekehrten. Nicht nur wortgewaltige Predigten, Bildungsangebote oder neue Konsumgüter wie Tabak oder Medizin, die als Wundermittel verabreicht wurden, unterstützten die Christianisierung sondern auch der Umgang mit der materiellen Kultur.  Die frühen Missionare waren Heilprediger – in doppeltem Wortsinn (Abb. 1).

 

 

 

Abb. 1: Begegnung eines deutschen Missionars mit den Einheimischen auf Nias: Eduard Fries war von 1904-1920 Missionar auf Nias, Titelbild einer Missionsveröffentlichung aus dem Jahr 1925 (Wiederabdruck in M. Tjoa-Bonatz: From Idol to Art: Missionary Attitudes Towards Indigenous Worship on Nias, Indonesia, 1903-1920. In T. D. Dubois (Hg.):, Casting, Imperialism and the transformation of religion in East and Southeast Asia. New York 2009: Abb. 1)

 

 

 

Holzfiguren: die Kraft der Bilder

 

Auf Nias wurden hölzerne Figuren von 10 cm bis zu 2 m Höhe in den Häusern für ganz unterschiedliche rituelle Zwecke – z.B. für Fruchtbarkeit, gegen Krankheiten und alles Unheil, als Ahnenbilder – aufgestellt und haben daher in vorchristlicher Zeit eine sehr komplexe und kunstreiche Ausgestaltungen erfahren (Abb. 2). In der Anfangszeit der Missionierung wurde ein Großteil dieser visuellen Ausdrucksformen einheimischer Religion in den Augen der Missionare als Götzen- oder Aberglauben diffamiert und zerstört. Missionare der Rheinischen Missionsgesellschaft berichteten von theatralisch inszenierten Taufen vor einem Scheiterhaufen verbrannter Holzskulpturen. Es wurden Prozessionen und Feste im Zusammenhang mit der Entfernung der Kultobjekte organisiert. Noch im Jahr 1930 rühmt sich ein Missionar, dass er einmal ein Haus von fast 200 hölzernen »Götzen« gesäubert hat.

 

Abb 2: Eine hölzerne Ahnenfigur, die der Missionar Eduard Fries 1910 gezeichnet hat (aus D. Bonatz, M. Humburg, C. Veltmann (Hg.), Im „Land der Menschen“. Der Missionar und Maler Eduard Fries und die Insel Nias. Bielefeld 2003: Abb. 6 auf S. 43).

 

 

Widersprüchlich war, dass die Missionare einerseits gegen einen animistischen Aberglauben durch die Entledigung eines Bilderglaubens ankämpften, sie aber andererseits selbst einem irrationalen Objektkult verfielen, indem diese Selbstinszenierung Teil der christlichen Rhetorik wurde: Sie wollten beweisen, dass ihnen kein Unheil geschah, wenn sie die vormals verehrten Bilder der Einheimischen zerstörten.

 

 

Steinerne Ahnen wurden zu Grabfiguren

 

Einen anderen Stellenwert hatten die steinernen Ahnenfiguren auf Nias, anthropomorph gestaltete Stelen, die bis zu 3 m hoch überall im öffentlichen Raum vor den Häusern standen. Diese eindrucksvollen Skulpturen – wofür diese Insel und ihre Megalithkultur berühmt ist – bildeten den offensichtlichsten Beleg für die künstlerische Ausdruckskraft und handwerkliche Kunstfertigkeit dieser Insel. Die Steinfiguren wurden in aufwendigen Rangerhöhungsfesten für den Stifter vor seinem Haus aufgestellt. Vor den Häusern gereiht, stellten sie somit eine Art Ahnengalerie dar und demonstrierten damit den besonderen sozialen Rang, den politisch und wirtschaftlichen Einfluss des jeweiligen Klans (Abb. 3). Diese omnipräsenten Ahnenfiguren konnten – anders als die hölzernen Ahnen im häuslichen Bereich – von den Missionaren nicht kurzerhand entfernt werden. Sie wurden daher mit der Zeit in den Grabkontext überführt, mit christlichen Symbolen versehen und sind dadurch von der Bilderzerstörung durch die Missionare bewahrt worden. Auch heute noch werden die gekachelten Gräber mit Figuren versehen, die die Bildsprache der steinernen Ahnenfiguren aufgreifen (Abb. 4).

 

Abb. 3: Steinere Ahnenfiguren bilden eine Ahnengalerie vor den Häusern auf Nias in Olayama, Zentral Nias (M. Tjoa-Bonatz, A. Reinecke (Hg.), Im Schatten von Angkor. Archäologie und Geschichte von Südostasien. Darmstadt 2015: Abb. 7)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 4: Christliches Grab neben einem Megalithen vor einem Haus in Soganuwasi, Zentral Nias (aus M. Tjoa-Bonatz: From Idol to Art: Missionary Attitudes Towards Indigenous Worship on Nias, Indonesia, 1903-1920. In T. D. Dubois (Hg.), Casting, Imperialism and the transformation of religion in East and Southeast Asia. New York 2009: Abb. 6)

 

 

 

 

Kultobjekte wurden Kunst

 

Die Stein- und Holzplastik von Nias hat bereits frühzeitig das Interesse in Museums- und Sammlerkreisen geweckt. Die Missionsgesellschaften wurden daher zu geeigneten Vermittlungsinstanzen mit bester Lokalkenntnis, um kulturinteressierte Sammler und Museen mit Ethnographika, also Exotika von ethnographischem Wert, in Europa zu versorgen. Das gespaltene Verhältnis der frühen Missionare im Umgang mit der fremden Kultur deutet sich damit an: einerseits die lokalen Kulturprodukte aufgrund ihrer Glaubensinhalte zu verdammen, andererseits sie lediglich als profane Kunst zu werten und damit den Kunstmarkt zu bedienen.

 

 


 

Missionssammlungen: Trophäen über das Heidentum

 

Missionare trugen auch zum Export einheimischer Kulturgüter bei, indem sie diese als Mitbringsel oder Anschauungsobjekte fremder Kulturen in ihre Heimat nach Europa brachten. Der Vatikan birgt eine der frühsten ethnographischen Sammlungen. Missionssammlungen in Deutschland wie die in St. Augustin oder der evangelischen Missionare der Rheinischen Missionsgesellschaft in Barmen (VEM) besitzen umfangreiche Kunst- und Alltagsgegenstände aus ihren Missionsgebieten. Die seit 1832 angelegte Sammlung der VEM verwahrt mit rund 5000 Objekten einen sehr erlesenen Bestand an Kulturgegenständen aus Indonesien, die es dort schon lange nicht mehr zu sehen gibt.

 

Die Sammlungsbestände der Missionsgesellschaften sind allerdings äußerst heterogen. Von individuellen Sammlungsinteressen geleitet, haben unterschiedliche Spender und mehr oder weniger kunstsinnige Ordensleute ihre Museen aufgebaut. Das Sammeln wurde von den Klerikern nie systematisch betrieben, Verluste und Schenkungen an ethnographische Museen haben den Bestand dezimiert. Einige der frühen Museumsstücke aus Nias oder Sumatra z.B. im ethnologischen Museum in Berlin stammen einstmals aus Missionsbeständen. Die Sammlungsgegenstände galten somit nicht nur als Anschauungsobjekte oder Kuriositäten aus den Missionsregionen, sondern waren ganz konkret materieller Beweis für die Erfolge der missionarischen Arbeit, sozusagen deren Trophäen über das Heidentum.

 

Museumsarbeit durch Missionare

 

Mittlerweile hat ein Umdenken dazu geführt, dass sich die Missionare für die lokale Kulturarbeit engagieren und Kunstgegenstände nicht nur in neu eingerichteten Museen aufbewahren sondern sogar Objekte aus klerikalem Besitz in die Ursprungsregionen restituieren.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 5: Pastor Hämmerle auf einem traditionellen Fest, das vom Museum Pusaka Nias organisiert wurde; Bildquelle: Mai Lin Tjoa-Bonatz

 

 

 

 

 

  

Abb. 6: Die Megalithsammlung im Museum Pusaka Nias: Steinsitze und Ahnenfiguren aus dem 19./20. Jahrhundert; Bildquelle: Mai Lin Tjoa-Bonatz

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Kapuzinermissionar Johannes Maria Hämmerle aus dem Schwarzwald hat seit mehreren Jahrzehnten den Aufbau eines Nias Museums vorangetrieben und mit Veröffentlichungen, Übersetzungen und Fortbildungsmaßnahmen einen wesentlichen Beitrag zur Wissenschaft und kulturellen Bildung geleitet (Abb. 5). Mittlerweile besitzt die Museumssammlung vielfältige ethnographische und archäologische Artefakte, von denen sogar 30 besondere Stücke im Jahr 2009 aus der niederländischen Kapuzinersammlung zurück ins Ursprungsland repatriiert wurden und deutsche Ordensleute durch seine Vermittlung Privatstücke gespendet haben (Abb. 6). Zum weitläufigen Museumsareal, auf dem oft genug traditionelle Feste und museumspädagogische Veranstaltungen abgehalten werden, gehört eine Bibliothek, ein Museumsshop, traditionelle Häuser, die direkt in Strandnähe als Gästehäuser genutzt werden, ein kleiner Zoo und Kräutergarten mit lokalen Heilpflanzen (Abb. 7). Die UNESCO hat daher dieses »community Museum« mit seinem umfassenden Bildungsprogramm im Indopazifischen Raum hervorgehoben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

   

 

  

Abb. 7: Auf dem Gelände des Museum Pusaka Nias wurden vor dem in traditioneller Bauweise errichtetem Gästehaus steinerne Ahnenfiguren aufgestellt; Bildquelle: Mai Lin Tjoa-Bonatz

 

 

 

   

Abb. 8: Ritualbücher konnten aus der niederländischen Missionssammlung wieder in die Ursprungsregion nach Brastagi nach Sumatra überführt werden;  Bildquelle: Mai Lin Tjoa-Bonatz

 

 

Ähnliche Bemühungen verfolgt der niederländische Pater Leo Joosten am Toba-See in Nord-Sumatra, der vor wenigen Jahren in einer ehemaligen Kirche ein Heimatmuseum aufgebaut hat. Auch er konnte wertvollen Schmuck und alte Ritualbücher aus einer Kapuzinersammlung in Tilburg, die vormals im ethnologischen Museum der niederländischen Radboud Universität aufbewahrt wurden, für sein Museum gewinnen (Abb. 8). Diese Artefakte sind nun in einer Glasvitrine von den Einheimischen als deren lokales Erbe zu bewundern.

 

Der Umgang der Missionarsgesellschaften mit der einheimischen Kunst und Kultur hat sich im Verlauf der letzten 150 Jahre demnach radikal verändert. Haben sie zunächst die einheimische Bilderwelt abgelehnt und zerstört, sind die Missionare aus Europa nun entscheidende Kulturträger geworden, die zur Ausbildung einer lokalen Identität durch Kunst und Kulturarbeit beitragen.

 

 

 

 

Kategorie: Wissen